Resilienz bei Kindern stärken – Wie Eltern und Lerntherapeuten helfen können

06.09.2025 | Resilienz

Einleitung: Kinder, die mir nicht mehr aus dem Herzen gehen

In meinen über zwanzig Jahren als Lehrerin habe ich viele Kinder unterrichtet – mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, Talenten und Herausforderungen. Doch es gibt eine Gruppe von Kindern, die mir besonders im Gedächtnis geblieben ist. Kinder, die leise sind, obwohl sie viel zu sagen hätten. Kinder, die sich zurückziehen, obwohl sie dazugehören wollen. Kinder, die sich selbst klein machen, weil sie glauben, nicht gut genug zu sein.

Immer wieder begegne ich ihnen – in der Schule und in meiner Arbeit als Lerntherapeutin. Sie kämpfen mit Ängsten, Selbstzweifeln und dem Gefühl, nicht gesehen zu werden. Sie erleben Schule nicht als Ort der Entfaltung, sondern als Ort des Drucks. Und sie brauchen etwas, das im Schulalltag oft zu kurz kommt: innere Stärke.

Ich möchte Ihnen drei dieser Kinder vorstellen. Ihre Geschichten sind echt – auch wenn ihre Namen geändert wurden. Sie stehen stellvertretend für viele andere Kinder, die ähnliche Erfahrungen machen. Und sie zeigen, warum es so wichtig ist, dass wir Kindern helfen, Resilienz zu entwickeln.

👧 Mira (10 Jahre) – Der stille Kampf um Anerkennung

Mira ist ein kluges Mädchen mit einem großen Herzen – doch sie lebt unter einem ständigen inneren Druck. Jede Klassenarbeit ist für sie ein Kampf um Selbstwert. Schon Tage vorher malt sie sich aus, was passiert, wenn sie keine Eins schreibt. „Dann bin ich schlecht. Dann bin ich nicht genug.“
Wenn sie eine Drei bekommt, zieht sie sich zurück. Sie spricht kaum noch, vermeidet Blickkontakt und sagt Sätze wie: „Ich habe versagt.“ Mira glaubt, dass sie nur dann liebenswert ist, wenn sie perfekt ist. Fehler sind für sie keine Lernmomente, sondern tiefe Kränkungen. Ihr Herz ist voller Zweifel, obwohl sie so viel zu geben hat.

Sofia (10 Jahre) – „Ich kann einfach keine Mathematik“

Sofia hat sich innerlich längst entschieden: „Mathe ist nichts für mich.“
Jede Mathematikstunde beginnt für sie mit einem Kloß im Hals. Wenn sie etwas nicht versteht, bleibt sie still. Sie würde gern fragen – aber die Angst ist größer. Angst, dass die Lehrerin genervt reagiert. Angst, dass die anderen Kinder lachen. Angst, wieder zu hören, was sie schon einmal gehört hat: „Du bist halt keine gute Matheschülerin.“

Dieser Satz hat sich tief in ihr Herz eingebrannt. Seitdem sieht sie sich selbst durch diese Brille: als jemand, der Mathe nicht kann, der immer hinterherhinkt. Dabei strengt sie sich an, rechnet zu Hause mit ihrer Mutter, versucht, die Aufgaben zu verstehen. Doch die innere Stimme sagt: „Du wirst es nie schaffen.“

Sofia ist nicht faul. Sie ist nicht uninteressiert. Sie ist verletzt. Und sie hat gelernt, sich lieber zurückzuziehen, als sich zu zeigen. Ihre Angst vor Ablehnung ist größer als ihr Mut, Fragen zu stellen. Dabei wäre genau dieser Mut der erste Schritt, um ihre innere Stärke zu entdecken.

Tim (10 Jahre) – Die Angst, sich zu zeigen

Tim hat eine Lese-Rechtschreibschwäche. Das Lesen fällt ihm schwer, das Schreiben klappt schon ganz gut. Das sieht er aber nicht. In der Schule bedeutet das: Vorlesen ist ein Albtraum. Referate sind eine Qual. Wenn sein Name aufgerufen wird, spürt er, wie sein Herz rast und seine Hände zittern.

Er hat große Angst, sich zu blamieren. „Wenn ich vorlese, denken alle, ich bin dumm.“ Deshalb meldet er sich nicht – auch dann nicht, wenn er etwas weiß. Denn was, wenn es falsch ist? Was, wenn er sich wieder verliest? Was, wenn die Lehrerin genervt ist?

Tim hat das Gefühl, dass er der ist „der es nicht kann“. Und Tim glaubt das inzwischen selbst. Sein Selbstwert ist am Boden. Er sagt Sätze wie: „Ich bin nichts Besonderes“ oder „Ich kann nichts gut.“ Dabei hat er ein feines Gespür für andere, malt wunderschöne Bilder und denkt kreativ – aber all das geht unter in der Angst, nicht zu genügen.

Wenn der Glaube an sich selbst verloren geht

Mira, Tim und Sofia – drei Kinder, drei Geschichten. Und doch verbindet sie etwas: die tiefe Unsicherheit, die Angst vor Fehlern, das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Sie erleben Schule nicht als Ort der Entfaltung, sondern als Bühne, auf der sie sich ständig beweisen müssen – und dabei oft scheitern. Nicht, weil sie nichts können, sondern, weil sie nicht mehr glauben, dass sie etwas können.

Was diese Kinder brauchen, ist nicht nur fachliche Unterstützung. Sie brauchen etwas viel Grundlegenderes: innere Stärke. Die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen, sich selbst zu vertrauen, sich zu zeigen – auch wenn es schwerfällt. Sie brauchen das, was wir Resilienz nennen.

Was ist Resilienz? – Innere Stärke, die wachsen darf

Resilienz ist ein Wort, das vielleicht erstmal kompliziert klingt. Aber eigentlich beschreibt es etwas ganz Einfaches und Wichtiges: die Fähigkeit, mit schwierigen Situationen umzugehen und trotzdem weiterzumachen.

Man kann sich Resilienz vorstellen wie eine Pflanze, die auch dann wächst, wenn der Wind stark weht oder der Boden steinig ist. Sie biegt sich, aber sie bricht nicht. So ist es auch mit Kindern: Manche erleben in der Schule Stress, Angst, Enttäuschung – aber sie lernen, damit umzugehen. Sie entwickeln Strategien, um sich selbst zu helfen. Sie entdecken, dass sie stark sein können, auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt.

Resilienz bedeutet nicht, dass man nie traurig oder unsicher ist. Es heißt auch nicht, dass man alles alleine schaffen muss. Es bedeutet vielmehr:

  • Ich darf Fehler machen – und daraus lernen.
  • Ich darf Hilfe annehmen – und trotzdem stark sein.
  • Ich darf traurig sein – und trotzdem wieder fröhlich werden.
  • Ich darf zweifeln – und trotzdem mutig sein.

Und das Beste: Resilienz kann man lernen. Genau wie Lesen, Rechnen oder Fahrradfahren. In der Schule, zu Hause, in der Lerntherapie – überall dort, wo Kinder erleben: Ich bin wertvoll. Ich werde gesehen. Ich darf wachsen.

Was Eltern tun können, um Resilienz zu fördern

Eltern spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, Kinder emotional zu stärken. Hier sind einige einfache, aber wirkungsvolle Möglichkeiten:

💬 1. Gefühle ernst nehmen

Kinder brauchen das Gefühl, dass ihre Sorgen und Ängste gehört werden. Statt „Das ist doch nicht so schlimm“ hilft ein:
„Ich sehe, dass dich das gerade sehr belastet. Erzähl mir mehr.“

🧠 2. Stärken sichtbar machen

Ermutige dein Kind, über Dinge zu sprechen, die es gut kann. Auch kleine Erfolge zählen!
👉 Tipp: Gemeinsam eine „Stärkenliste“ schreiben oder malen.

🔄 3. Fehler als Lernchance sehen

Sprich offen über eigene Fehler und was du daraus gelernt hast. Das zeigt deinem Kind: Fehler sind normal – und wertvoll.

🧘 4. Rituale für Ruhe und Sicherheit

Feste Abläufe, kleine Entspannungsübungen oder gemeinsame Abendrituale geben Kindern Halt – besonders in stressigen Zeiten.

🎯 5. Selbstwirksamkeit fördern

Lass dein Kind Entscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen und eigene Lösungen finden. Das stärkt das Vertrauen in die eigene Kraft.

🧑🏫 Wie ich als Lerntherapeutin Kinder begleite

In meiner Arbeit als Lerntherapeutin erlebe ich oft, wie sehr schulische Schwierigkeiten das Selbstbild eines Kindes prägen. Deshalb ist mein Ziel nicht nur, fachlich zu unterstützen – sondern auch emotional zu stärken.

💡 Was ich konkret tue:

  • Ich biete einen geschützten Raum, in dem Kinder sich zeigen dürfen – mit allem, was sie bewegt.
  • Ich arbeite mit Stärkekarten, Mutmach-Sätzen und kreativen Übungen, die das Selbstvertrauen fördern.
  • Ich helfe Kindern, ihre Gefühle zu verstehen und zu regulieren – z. B. durch Atemübungen oder kleine Entspannungsrituale.
  • Ich zeige ihnen, dass Fehler erlaubt sind – und dass sie etwas über sich sagen, aber nichts über ihren Wert.
  • Ich unterstütze sie dabei, neue Denkweisen zu entwickeln: weg von „Ich kann das nicht“ hin zu „Ich kann es versuchen“.

Resilienz entsteht nicht über Nacht. Aber mit Geduld, Vertrauen und liebevoller Begleitung kann sie wachsen – und Kinder stark machen für das Leben.

Wissenschaftliche Grundlagen und Bücher

  • Das Resilienzbuch von Robert Brooks & Sam Goldstein (Klett-Cotta, 2023)
    Klassiker mit praxisnahen Empfehlungen für Eltern und Erzieher*innen, verständlich, aktuell und wissenschaftlich fundiert.
  • Resilienz, wie Kinder stark werden – Eine Einführung für pädagogische Fachkräfte
    Von Prof. Dr. Fröhlich Gildehoff und Prof. Dr. Rönnau-Böse (Beltz Verlag): Kompaktes Grundlagenwerk speziell für den Kita- und Grundschulbereich.
  • Resilienzfördernde Psychotherapie für Kinder und Jugendliche
    Herausgeber: Marcel Schär, Christoph Steinebach (Beltz Verlag, 2015).
    Buch mit Fokus auf therapeutische Ansätze zur Resilienzentwicklung bei verschiedenen Altersgruppen, mit vielen Praxisbeispielen.
  • Resilienz (8. Auflage, Verlag an der Ruhr, 2025)Wissenschaftliches Werk zur Resilienzförderung in Bildungseinrichtungen, mit Hintergrundwissen und Praxistipps für Fachkräfte und Eltern.
  • Förderung von Resilienz bei Kindern und Jugendlichen in Bildungseinrichtungen
    Artikel von Nina Rothenbusch in “Theo-Web” 17 (2018), 1; praxis- und forschungsorientierte Übersicht.

Weitere empfehlenswerte Quellen und Programme

  • Papilio, PRiK, ReSi, Kinder Stärken!
    Programme zur Resilienzförderung im Kita- oder Grundschulalltag mit praktischen Übungen und Begleitmaterialien.
  • Blickrichtung der neueren Resilienzforschung: Wie Kinder Krisen bewältigen
    Überblicksartikel von Wustmann, Ingrid (2005).
  • Resilienz in der professionellen Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren
    Studientext mit Forschungsüberblick und Praxistipps.
  • Psychische Gesundheit – Leitfaden Resilienz, Landesinstitut Rheinland-Pfalz
    Praktische Förderung individueller und Beziehungsebene, mit Beispielen für den Unterricht und Elterntraining.
  • Resilienz bei Kindern – nifbe e.V.
    Umfassender Fachbeitrag zu Grundprinzipien der Resilienzförderung im Alltag und in der Lerntherapie, mit Literaturreferenzen.

Praktische Webseiten & Artikel

  • Resilienz bei Kindern: Ein Schutzschild für die Seele (PTE – Pädagogisch Therapeutische Elternberatung)
    Programmbeschreibung und Elternratgeber zur Resilienzförderung im Alltag und in der Lerntherapie.

1 Kommentar

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